Quelle: gmx.de
In Italien werden teure Medikamente gestohlen, gestreckt oder manipuliert - und dann nach Nordeuropa geliefert. Auch in Deutschland sind solche Arzneimittel aufgetaucht. Experten sind sicher: Hinter dem lukrativen Handel steckt die Mafia.
An Himmelfahrt war bei Trans-o-flex die Hölle los. Unbekannte brachen in das Depot des Transportdienstleisters im nordrhein-westfälischen Neuss ein und stahlen Arzneimittel. Ganze Rollwagenladungen seien weggeschafft worden, Medikamente "in beträchtlichem Umfang", sagt ein Polizeisprecher. Der Warenwert habe im sechsstelligen Bereich gelegen. "Der halbe Bestand ist geklaut worden", sagt jemand, der anonym bleiben will.
Dutzende Hersteller und Re-Importeure sind betroffen, darunter auch das Pharmaunternehmen Roche, dem unter anderem das Medikament Herceptin abhanden kam. Allein im ersten Quartal 2014 brachte das Mittel gegen Brustkrebs dem Schweizer Konzern einen Umsatz von 1,26 Milliarden Euro. Kein Wunder: 150 Milligramm des Infusionslösungskonzentrats kosten in Deutschland 676,59 Euro.
Für die Diebe geht es also um ein lukratives Geschäft durch den Wiederverkauf der Arzneien. Für Patienten, die gestohlene und womöglich verunreinigte oder manipulierte Medikamente einnehmen, geht es um sehr viel mehr. Um ihr Leben.
Wer sind die Täter?
Am 25. Mai betritt ein Mann eine Berliner Apotheke. Er zeigt dem Mitarbeiter eine Packung des Wachstumspräparats SimpleXx. Es stimme etwas nicht mit dem Produkt, sagt der Mann - und verschwindet unerkannt. Der Apotheker schickt die Spritze mit zehn Milligramm Injektionslösung an den Hersteller Novo Nordisk. Nach einer Analyse muss der dänische Konzern bestätigen: Es ist eine Fälschung. Es gebe aber keinen Hinweis darauf, dass weitere gefälschte Produkte in die legalen Vertriebswege gelangt seien.
Eine Fälschung aus dem Nichts? Woher stammt sie? Wer war der Mann, der sie reklamiert hat? Die Pressestelle bleibt stumm, verweist auf laufende Ermittlungen. "Dies ist der erste und einzige bekannte Fall einer Fälschung dieses Arzneimittels in Deutschland", heißt es später in einer Pressemitteilung. Ist das alles?
Vergangene Woche bestätigte das Bundeskriminalamt, man ermittle wegen illegal aus Italien nach Deutschland eingeführter Medikamente - darunter auch Herceptin. Sechs Präparate zur Behandlung von Krebs und Rheuma wurden aus Krankenhäusern und Apotheken zurückgerufen, insgesamt soll es aber um mehr als 60 Medikamente gehen, die über Großbritannien nach Finnland, Schweden, Österreich und Deutschland gebracht wurden. Doch zu den möglichen Hintergründen will sich das BKA auf Anfrage nicht äußern.
Ein ausgeraubtes Medikamentenlager, ein gefälschtes Wachstumshormon, gestohlene Arzneimittel aus Italien - das sei ein überzufälliger Zufall, sagt ein Insider. Die Behörden stehen dem kriminellen Treiben eher hilflos gegenüber. Vorschriftsgemäß werden warnende Rote-Hand-Briefe an Ärzte und Apotheker verschickt, die Landesgesundheitsämter informieren. Sie kontrollieren, ob Großhändler in ihrem Bereich Ware aus Italien bezogen haben. Wenn, dann wird diese unter Quarantäne gestellt, bis klar ist, dass die Präparate in Ordnung sind.
Anders als in Österreich, wo manipulierte Ware aus Italien in einer Klinik wieder auftauchte, konnten in Deutschland alle Medikamente beim Großhändler konfisziert werden. Verbraucher sind dennoch aufgefordert, Medikamente genau anzuschauen und im Zweifelsfall bei ihrem Arzt oder Apotheker nachzufragen.
Das Bundesgesundheitsministerium erklärte am Mittwoch, "es müsse geprüft werden, wo und wie die illegalen Arzneimittel in die legale Vertriebskette gelangt sind". Ansonsten wird wie stets auf den ermittelnden Staatsanwalt verwiesen. Wer das sein wird, steht allerdings auch nach vier Monaten immer noch nicht fest.
"Ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung in Gefahr"
Der britische Arzneigroßhändler Ambe Medical Group hatte im April als erster Alarm geschlagen: Die Chargennummern bei einigen Herceptin-Fläschchen würden nicht mit denen auf der Packung übereinstimmen. Ambe wandte sich an die Behörden, die feststellten, dass die Chargennummern zu Medikamenten gehörten, die als gestohlen gemeldet worden waren.
Erworben hatte Ambe das Krebsmittel beim italienischen Großhändler Farmaceutica internazionale srl., der bereits im Dezember 2013 wieder vom Markt verschwunden war. Dies bestätigte die italienische Pharma-Aufsichtsbehörde AIFA. Die Herceptin-Hersteller erklärten, das Unternehmen nie mit Medikamenten beliefert zu haben. Teile der verdächtigen Herceptin-Packungen sollen bei dem deutschen Großhändler Cancernova gelandet sein. Das Unternehmen lehnte ein Gespräch mit SPIEGEL ONLINE ab.
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gaben Warnhinweise heraus. Auch die Europäische Arzneimittelagentur EMA warnte vor den manipulierten und mit falschen Zertifikaten in Umlauf gebrachten Fläschchen. Einige von ihnen enthielten Flüssigkeit, obwohl herkömmliches Herceptin eigentlich als weiß-gelbliches Pulver vertrieben wird, das erst kurz vor der Einnahme aufgelöst werden muss. Teilweise soll der Herceptin-Wirkstoff Trastuzumab durch Antibiotika ersetzt worden sein.
"Das ist kriminell und in hohem Maße besorgniserregend", sagt Eva-Maria Grischke von der Frauenklinik Tübingen. "Die Dosierung von Herceptin erfolgt individuell in Relation zum Körpergewicht, die Gabe in unterschiedlichen Abständen. Die kleinste Abweichung kann zu schweren Gesundheitsproblemen führen." Herceptin ist steril verpackt, wenn die Verpackung beschädigt wird, ist die Gefahr von Infektionen groß - besonders bei Patienten, bei denen etwa durch eine Chemotherapie das Immunsystem geschwächt ist, erklärt die Professorin. "Das erklärt, warum die illegalen Weiterverkäufer Antibiotika zugegeben haben - sie haben Angst, durch verstärkt auftretende Sepsis oder Fieber aufzufliegen."
Die Liste der gestohlenen Arzneimittel werde immer länger, Apotheker sehen bereits die "ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung in Gefahr", heißt es in einem Branchenblatt. "Zu überprüfen, ob sich Präparate aus Chargen gestohlener oder manipulierter Arzneimittel in den Schüben befinden", entwickele sich zum Dauerbrenner in deutschen Apotheken.
Fortsetzung .....
In Italien werden teure Medikamente gestohlen, gestreckt oder manipuliert - und dann nach Nordeuropa geliefert. Auch in Deutschland sind solche Arzneimittel aufgetaucht. Experten sind sicher: Hinter dem lukrativen Handel steckt die Mafia.
An Himmelfahrt war bei Trans-o-flex die Hölle los. Unbekannte brachen in das Depot des Transportdienstleisters im nordrhein-westfälischen Neuss ein und stahlen Arzneimittel. Ganze Rollwagenladungen seien weggeschafft worden, Medikamente "in beträchtlichem Umfang", sagt ein Polizeisprecher. Der Warenwert habe im sechsstelligen Bereich gelegen. "Der halbe Bestand ist geklaut worden", sagt jemand, der anonym bleiben will.
Dutzende Hersteller und Re-Importeure sind betroffen, darunter auch das Pharmaunternehmen Roche, dem unter anderem das Medikament Herceptin abhanden kam. Allein im ersten Quartal 2014 brachte das Mittel gegen Brustkrebs dem Schweizer Konzern einen Umsatz von 1,26 Milliarden Euro. Kein Wunder: 150 Milligramm des Infusionslösungskonzentrats kosten in Deutschland 676,59 Euro.
Für die Diebe geht es also um ein lukratives Geschäft durch den Wiederverkauf der Arzneien. Für Patienten, die gestohlene und womöglich verunreinigte oder manipulierte Medikamente einnehmen, geht es um sehr viel mehr. Um ihr Leben.
Wer sind die Täter?
Am 25. Mai betritt ein Mann eine Berliner Apotheke. Er zeigt dem Mitarbeiter eine Packung des Wachstumspräparats SimpleXx. Es stimme etwas nicht mit dem Produkt, sagt der Mann - und verschwindet unerkannt. Der Apotheker schickt die Spritze mit zehn Milligramm Injektionslösung an den Hersteller Novo Nordisk. Nach einer Analyse muss der dänische Konzern bestätigen: Es ist eine Fälschung. Es gebe aber keinen Hinweis darauf, dass weitere gefälschte Produkte in die legalen Vertriebswege gelangt seien.
Eine Fälschung aus dem Nichts? Woher stammt sie? Wer war der Mann, der sie reklamiert hat? Die Pressestelle bleibt stumm, verweist auf laufende Ermittlungen. "Dies ist der erste und einzige bekannte Fall einer Fälschung dieses Arzneimittels in Deutschland", heißt es später in einer Pressemitteilung. Ist das alles?
Vergangene Woche bestätigte das Bundeskriminalamt, man ermittle wegen illegal aus Italien nach Deutschland eingeführter Medikamente - darunter auch Herceptin. Sechs Präparate zur Behandlung von Krebs und Rheuma wurden aus Krankenhäusern und Apotheken zurückgerufen, insgesamt soll es aber um mehr als 60 Medikamente gehen, die über Großbritannien nach Finnland, Schweden, Österreich und Deutschland gebracht wurden. Doch zu den möglichen Hintergründen will sich das BKA auf Anfrage nicht äußern.
Ein ausgeraubtes Medikamentenlager, ein gefälschtes Wachstumshormon, gestohlene Arzneimittel aus Italien - das sei ein überzufälliger Zufall, sagt ein Insider. Die Behörden stehen dem kriminellen Treiben eher hilflos gegenüber. Vorschriftsgemäß werden warnende Rote-Hand-Briefe an Ärzte und Apotheker verschickt, die Landesgesundheitsämter informieren. Sie kontrollieren, ob Großhändler in ihrem Bereich Ware aus Italien bezogen haben. Wenn, dann wird diese unter Quarantäne gestellt, bis klar ist, dass die Präparate in Ordnung sind.
Anders als in Österreich, wo manipulierte Ware aus Italien in einer Klinik wieder auftauchte, konnten in Deutschland alle Medikamente beim Großhändler konfisziert werden. Verbraucher sind dennoch aufgefordert, Medikamente genau anzuschauen und im Zweifelsfall bei ihrem Arzt oder Apotheker nachzufragen.
Das Bundesgesundheitsministerium erklärte am Mittwoch, "es müsse geprüft werden, wo und wie die illegalen Arzneimittel in die legale Vertriebskette gelangt sind". Ansonsten wird wie stets auf den ermittelnden Staatsanwalt verwiesen. Wer das sein wird, steht allerdings auch nach vier Monaten immer noch nicht fest.
"Ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung in Gefahr"
Der britische Arzneigroßhändler Ambe Medical Group hatte im April als erster Alarm geschlagen: Die Chargennummern bei einigen Herceptin-Fläschchen würden nicht mit denen auf der Packung übereinstimmen. Ambe wandte sich an die Behörden, die feststellten, dass die Chargennummern zu Medikamenten gehörten, die als gestohlen gemeldet worden waren.
Erworben hatte Ambe das Krebsmittel beim italienischen Großhändler Farmaceutica internazionale srl., der bereits im Dezember 2013 wieder vom Markt verschwunden war. Dies bestätigte die italienische Pharma-Aufsichtsbehörde AIFA. Die Herceptin-Hersteller erklärten, das Unternehmen nie mit Medikamenten beliefert zu haben. Teile der verdächtigen Herceptin-Packungen sollen bei dem deutschen Großhändler Cancernova gelandet sein. Das Unternehmen lehnte ein Gespräch mit SPIEGEL ONLINE ab.
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gaben Warnhinweise heraus. Auch die Europäische Arzneimittelagentur EMA warnte vor den manipulierten und mit falschen Zertifikaten in Umlauf gebrachten Fläschchen. Einige von ihnen enthielten Flüssigkeit, obwohl herkömmliches Herceptin eigentlich als weiß-gelbliches Pulver vertrieben wird, das erst kurz vor der Einnahme aufgelöst werden muss. Teilweise soll der Herceptin-Wirkstoff Trastuzumab durch Antibiotika ersetzt worden sein.
"Das ist kriminell und in hohem Maße besorgniserregend", sagt Eva-Maria Grischke von der Frauenklinik Tübingen. "Die Dosierung von Herceptin erfolgt individuell in Relation zum Körpergewicht, die Gabe in unterschiedlichen Abständen. Die kleinste Abweichung kann zu schweren Gesundheitsproblemen führen." Herceptin ist steril verpackt, wenn die Verpackung beschädigt wird, ist die Gefahr von Infektionen groß - besonders bei Patienten, bei denen etwa durch eine Chemotherapie das Immunsystem geschwächt ist, erklärt die Professorin. "Das erklärt, warum die illegalen Weiterverkäufer Antibiotika zugegeben haben - sie haben Angst, durch verstärkt auftretende Sepsis oder Fieber aufzufliegen."
Die Liste der gestohlenen Arzneimittel werde immer länger, Apotheker sehen bereits die "ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung in Gefahr", heißt es in einem Branchenblatt. "Zu überprüfen, ob sich Präparate aus Chargen gestohlener oder manipulierter Arzneimittel in den Schüben befinden", entwickele sich zum Dauerbrenner in deutschen Apotheken.
Fortsetzung .....
mfg a.nili
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